Alle stehen vom Esstisch auf und abräumen müssen Sie. Die Socken, Schulranzen und alte Zeitungen liegen ewig auf dem Boden rum, bis Sie sich ein Herz nehmen und sie dahin tragen, wo sie hingehören. Ihre Kollegin kontrolliert sie ständig und fällt Ihnen ins Wort. Der Chef übergeht Sie permanent, wieder zieht eine Karrierechance an Ihnen vorbei – und Sie sagen nix. Gefühlt wollen Sie mal richtig Rauch rein lassen, aber richtig Kritik üben will überlegt sein, um sich nicht vielleicht wertvolle Lösungen von vornherein zu verbauen.
KRITIK HÖRT NIEMAND GERN
Jeder von uns kommt immer wieder in Situationen, in der wir anderen sagen wollen, was uns nicht angenehm ist und missfällt. Doch oft, halten wir diese Kritik zurück, aus Angst, der andere nimmt es uns übel, weißt uns zurück, ist verletzt oder grenzt uns gar in Zukunft aus.
Ja, Sie möchten gern Kritik äußern, für sich und Ihre Bedürfnisse einstehen. Das ist Ihr Recht und schließlich genau das, wozu ich Sie immer wieder ermuntere. Doch wie geht das, ohne dass Ihr Gegenüber gekränkt oder sauer mit Ihnen ist?
KRITIK IST OFT SUBJEKTIV
Ganz ehrlich? Darauf, wie andere auf Ihre Kritik reagieren, haben Sie keinen Einfluss. Sie wissen nicht, wie Ihr Gesprächspartner Ihre Kritik aufnimmt, dass kann keiner vorhersagen. Und Sie sollten sich im Klaren sein, keiner wird gerne kritisiert, auch Sie nicht.
Oft hängt es von der Tagesverfassung des anderen ab, ob er heute mit Ihrer Kritik gut oder schlecht umgehen kann. Aber auch von seiner eigenen Lebensgeschichte, seiner Prägung. Sie wissen nicht, was von dem Gesagten bei ihm ankommt und wie er es interpretiert, ob er es persönlich nimmt oder nur als Information abspeichert. Sie sehen, es gibt unendlich viel Raum für Missverständnisse und Kritik kann von konstruktiv bis lästig, feindselig, ja sogar vernichtend erlebt werden.
OHNE KRITIK – KEINE ENTWICKLUNG
Doch, um sich persönlich in seinem Wesen, seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten weiter zu entwickeln, kommen wir um Kritik auch nicht herum. Deshalb sage ich, ja, wir brauchen sie, doch es ist aus meiner Sicht exorbitant wichtig, sie wertschätzend und konstruktiv zu äußern. Niemals kleinmachend, abwertend oder gar verletzend.
Wenn der Ober fragt, wie das Essen geschmeckt hat und die Mehrheit der Anwesenden mit „Ja, danke“ antwortet, gibt es für den Koch keinen Grund, seine Kochkunst zu hinterfragen oder weiterzuentwickeln – logisch.
KRITIK ÜBEN – AUF DAS WIE KOMMT ES AN
Also Kritik üben macht Sinn, ebenso Kritik anzunehmen. Und es gibt durchaus Wege dies wertschätzend zu tun. Auf diese Weise vermeiden Sie, dass Ihr Gegenüber in die Verteidigungshaltung rutsch und ein konstruktives Gespräch möglich bleibt. Stattdessen wird es ihm leichter fallen Ihre Kritik als gut gemeintes Feedback wahrzunehmen.
Dazu gibt es ein paar kleine Regeln, die, nehmen Sie sich diese zu Herzen, Wunder bewirken können Und nicht verzweifeln, wenn es nicht auf Anhieb so recht klappen will, Sie wissen ja…“Rom wurde nicht an einem Tag erbaut!, „Laufen haben Sie auch nicht an einem Tag erlernt!“ und „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!“. Seien Sie gnädig mit sich und haben Sie Geduld.
7 Regeln zum richtigen Kritisieren
1. Bevor Sie Kritik äußern, bitte immer die Zustimmung einholen: „Darf ich dir kurz sagen, was ich dazu denke?“ – das erhöht die Bereitschaft Ihres Gegenübers, auf die Kritik einzugehen, erheblich!
2. Wertschätzen Sie die Situation, in der Ihr Gegenüber gerade steckt („Ich kann gut verstehen, dass du gerade deine Ruhe brauchst, und trotzdem… es ist mir wichtig dir das zu sagen!“) Und machen Sie deutlich, wie wichtig Ihnen das gerade ist.
3. Beschreiben Sie Ihre Motivation („Ich wollte eigentlich…!“) und achten Sie darauf in der ICH-Form zu bleiben. Das gelingt Ihnen, wenn Sie Ihre Gefühlslage erklären: „Ich fühle mich unwohl… . Es verletzt mich… . Ich fühl mich unfair behandelt… .“ . Wenn Sie dagegen das DU auf den Lippen haben, nageln Sie Ihr Gegenüber regelrecht an die Wand und provozieren geradezu eine Verteidigungstirade und ein offener Schlagabtausch bricht los. Fühlen Sie sich doch mal einen Moment rein in diese beiden Sätze und fragen Sie sich, welcher Ihnen eher die Tür für ein Gespräch öffnet:
a) Ich fühle mich verletzt, wenn meine Meinung dazu nicht gehört wird. Ich würde mir wünschen, wir sprechen in Ruhe darüber und finden zusammen eine Lösung.
b) Du verletzt mich. Nie hörst du mir zu. Immer streitest du mit mir. Finde endlich eine Lösung, wie du das ändern kannst.
4. Beschreiben Sie das Verhalten Ihres Gegenübers – Achtung, beschreiben, nicht vorwerfen. Und auch hier hilft die ICH-Form: Ich habe wahrgenommen…, auf mich wirkt das…, ich habe den Eindruck, dass… . So kann Ihr Gegenüber verstehen, was bei Ihnen ankommt und evtl. ein Missverständnis schnell aufklären.
5. Fragen Sie nach, was genau die Absicht Ihres Gegenübers ist: „Wolltest du das? Hab ich dich richtig verstanden? Meintest du das so und so? Was ist dein Beweggrund? Was genau willst du mir damit sagen?“ Unterschätzen Sie die Macht der Fragen nicht, denn oft urteilen wir zu vorschnell und interpretieren Dinge in das Gesagte hinein, von dem nie die Rede war.
Ich zitiere hier gerne das Beispiel mit der Ampel: Stellen Sie sich vor, dass ein Mann und eine Frau in einem Auto sitzen. Die Frau fährt das Auto. Dieses kommt vor einer Ampel zum Stehen. Nach einer kleinen Wartezeit schaltet die Ampel auf grün. Nun sagt der Mann zur Frau: „Es ist grün.“
Und so können Sie diese Aussage jetzt interpretieren, nach dem Vier-Ohren-Modell von Friedemann Schulz von Thun. Demnach geschieht das Senden und Empfangen einer Nachricht immer auf vier Wegen:
a) Sachebene: Es wird als reine Information wahrgenommen – ohne jegliche Wertung oder Interpretation. Die Ampel ist grün. Punkt.
b) Selbstoffenbarung: Mann hat es eilig und er fordert Frau auf schnell loszufahren. Hier ist keine Wertung oder Gefühlslage im Spiel, doch Mann gibt etwas über sich persönlich preis.
c) Beziehung: Mann gibt Frau zu verstehen, sie soll schnell losfahren, damit sie nicht zu spät in die Oper kommen. Durch ihre trödelige Fahrweise kommen sie ja schließlich immer und überall zu spät. Mann will sich über Frau erheben und ihr klar machen, er fahre schneller und besser Auto als sie. Hier spielt oft Gefühl und Wertung eine Rolle.
d) Appell: Mann gibt Frau zu verstehen, sie soll doch jetzt endlich losfahren. Klare Aufforderung etwas zu tun.
Natürlich können sich diese „Ohren“ auch überschneiden, gerade dann helfen Fragen um Klarheit zu bekommen, wie eine solche Aussage zu verstehen ist. Das ist allemal besser als Hellseherei zu betreiben und zu erahnen, wie der andere das Gesagte gemeint haben könnte. Auf diese Weise öffnen Sie die Tür um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und schaffen Platz für Kompromisse, die beiden Parteien gut tun.
6. Formulieren Sie Ihre Kritik immer konkret auf ein Verhalten in einer Situation und vermeiden Sie Verallgemeinerungen wie zum Beispiel: du hörst mir nie zu, immer muss ich alles dreimal sagen…
7. Und zu guter Letzt, sagen Sie dem anderen auch, was Ihnen gut an seinem Verhalten gefällt. Hier empfehle ich gern die Sandwich-Technik für Feedback:
a) ein Kompliment aussprechen
b) Kritik üben…Ich würde mir wünschen
c) ein Kompliment aussprechen
Denken Sie immer daran, es ist die Entscheidung Ihres Gegenübers, ob er bereit ist Ihr Feedback-Geschenk anzunehmen. Wenn er es zurückweist, ist das sein gutes Recht und keine Zurückweisung Ihrer Person, sondern nur des Feedbacks/der Kritik. Machen Sie sich das bewusst, dann fällt es Ihnen leichter damit umzugehen.
KRITIK ÜBEN WILL GEÜBT SEIN
Zugegeben, es ist sich nicht ganz einfach alle Regeln vom ersten Tag an gleichzeitig umzusetzen, deshalb picken Sie sich einfach die Regeln heraus, die für Sie im Moment am zugänglichsten sind. Üben Sie diese in den nächsten, sich ergebenden Situationen ein, egal ob privater oder beruflicher Kontext. Gelegenheit gibt es sicher genug. Und wenn sie sitzen, dann nehmen Sie die nächste Regel mit dazu. Schritt für Schritt.
Hier eine kleine Übung vorab zum Ausprobieren:
Folgende Situation (Namen wurden geändert):
Peter kommt vom Training heim, seine Mutter erwartet ihn schon, sichtlich sauer. Peter hat mal wieder seine Schulsachen und Klamotten im ganzen Wohnzimmer verteilt. Maria wollte nach einem langen Arbeitstag noch mal eben staubsaugen und sah sich gezwungen, erstmal das Chaos zu beseitigen, was ihrer Laune nicht zuträglich war. Entsprechend ergibt sich folgender Dialog:
Mutter:
Sag mal Peter, glaubst du eigentlich, ich bin dein Dienstbote, Putzfrau oder was weiß ich nicht alles? Das hier ist kein Hotel und ich nicht deine Angestellte!
Peter:
Was ist denn jetzt schon wieder los?
Mutter:
Das Wohnzimmer ist ein einziger Saustall! Überall liegt dein Krempel rum. Räum das in Zukunft gefälligst auf! Sonst schmeiß ich alles in den Müll! Das schwör ich dir!
Peter:
Sag mal, geht’s noch? Erst soll ich die Hausaufgaben noch vor dem Fußballtraining machen, und jetzt meckerst du auch noch rum?
Mutter:
Hör mal Bursche, das ist kein Grund frech zu werden! Es ist ja wohl nicht zu viel verlangt, dass du deine Sachen wegräumst. Kannst dein Zimmer zumüllen, aber gefälligst nicht das Wohnzimmer hier.
Und jetzt Sie: Versuchen Sie diese Antworten jeweils wertschätzender zu formulieren und beobachten Sie selbst, was dadurch möglich wird.
WARUM? WEIL SIE ES SICH WERT SIND!
Von Herzen: Ihre Martina
Kritik zu äussern ist für die meisten wirklich keine angenehme Sache. Deshalb danke schon mal für die 7 Regeln zum richtigen Kritisieren. Da mal ein Training zu machen und sich die Grundsätze verinnerlichen – das hilft nicht nur im Job, sondern auch zu Hause im Alltag! Also warum nicht mal die beste Freundin einladen und zusammen ein kleines Coaching zum richtigen Kritisieren machen? Klingt super, um das Unangenehme mit dem Schönen zu verbinden – und das in einem geschützte Umfeld. Also danke noch einmal für die tollen Tipps!